Ein moralischer Mindestpreis
Endlich kommt Bewegung in die Forderung nach gerechten Preisen für die Landwirtschaft. Ebenso ratlos ist man aber über die „richtigen“ Mechanismen, diese auch umzusetzen. Von verschiedenen Seiten werden fast schon inflationär Vorschläge unterbreitet. Bei näherer Betrachtung wurden viele davon aber schon in der agrarpolitischen Vergangenheit erfolglos versucht. Begonnen wurde mit der Marktabschottung durch Schutzzölle, einem Mindestpreis (Interventionspreis), danach Mengensteuerung durch Kontingente bis hin zur heutigen Flächenprämie, die uns Landwirten als unsinnige Pauschalsubvention um die Ohren gehauen wird, ohne tatsächlich die Hintergründe zu kennen und zu verstehen.
Mit der Borchert-Kommission wurde ein neuer Versuch gestartet und immer wieder mit dem Energieeinspeisegesetz (EEG) verglichen. Im Vergleich zum EEG hat der Borchert-Vorschlag mehrere Schwachstellen: Im EEG gibt es eine Abnahmegarantie für den erzeugten Strom zu einem Festpreis über 20 Jahre. Diese Abnahmegarantie gibt es bei Borchert nicht. Der größte Schwachpunkt ist aber, dass im EEG der Einspeise-Preis festgeschrieben wurde, während es beim Borchert-Vorschlag einen festen „Zuschlag“ auf einen flexiblen Basispreis geben soll. Dies gibt dem Handel die Möglichkeit, in den Verhandlungen den Basispreis abzusenken, um dann zusammen mit dem Borchert-Zuschlag wieder auf das vorherige Niveau zu kalkulieren. Damit ist nichts gewonnen.
Wie kann man dies verhindern? Ein Mindestpreis ist wohl kartellrechtlich und gesetzlich nicht umsetzbar. Wie lautet nun mein Vorschlag?
Wir brauchen einen „moralischen Mindestpreis”!
So, wie es für jeden gewissenhaften Bürger klar sein müsste, dass ein T-Shirt für 4,99 € unmöglich unter moralischen und umweltpolitischen Gesichtspunkten fair produziert werden kann, so brauchen wir auch bei landwirtschaftlichen Produkten einen moralischen Mindestpreis. Jeder Handelsteilnehmer der unter diesem Preis einkauft, signalisiert damit, dass es ihm vollkommen egal ist, wie die Produkte produziert wurden.
Wie können wir zu diesen „moralischen Mindestpreis” kommen?
Von vielen Interessensgruppen ( Politik, Handel, Verbraucher) wird ja der „Familienbetrieb“ als das Wunschziel formuliert. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Familienbetrieb und familiengeführten Betrieb (der auch mit Fremdarbeitskräften arbeitet). Geht man vom Wunschziel Familienbetrieb aus, so wird der Arbeitskräftebesatz (Betriebsleiter, Partner, Altenteiler, Kinder) bei etwa 2 AK bestehen. Die mithelfenden Familienangehörigen sollten nicht mitgerechnet werden. Damit hätte man eine zur Verfügung stehende Gesamtarbeitszeit pro Jahr. Nun würde ich vorschlagen, dass man die 4 führenden/renommiertesten Agrarökonomen in Deutschland (ähnlich der Wirtschaftsweisen) beauftragt, einen Familienbetrieb mit diesem AK Besatz in allen Produktionsbereichen (Feldbau, Milch, Rindermast, Ferkelerzeugung, Schweinemast usw.) zu konstruieren. Welche Größenordnungen sind mit diesen AK-Besatz zu schaffen? Aufgrund dieser errechneten Betriebsgrößen kann man nun einen Mindestpreis kalkulieren, der die Vollkosten abdeckt.
Wenn wir es schaffen, diesen „moralischen Mindestpreis“ halbjährlich (um Schwankungen im Energiesektor, Rohstoff und weiteren Betriebsmittel einfließen zu lassen) zu veröffentlichen, dann hätten wir eine Richtschnur. Jeder LEH, der bei Preisverhandlungen den moralischen Mindestpreis unterschreitet, gibt dadurch zu erkennen, dass ihm die angestrebten Ziele (Familienbetriebe, Nachhaltigkeit, Artenschutz, Klimaschutz) egal sind. Dies wird breit veröffentlich und so eine Bewertung des jeweiligen Handelsunternehmens, gerne auch im Schulterschluss mit den NGO, vorgenommen.
Dieser „moralische Mindestpreis“ basiert nur auf den derzeitigen gesetzlichen Mindeststandards. Weitergehende Forderungen an Tierwohl, Regionalität, Artenschutz usw.) müssen zusätzlich entlohnt werden. Somit stellt der „moralische Mindestpreis“ ein tatsächliches Auffangnetz nach unten dar.